„Die Kirche im Mittelalter, ein dunkler Innenraum, einzig beleuchtet von Kerzen, bitterkalt, die Wände aus roh behauenen Steinen, keine Sitzgelegenheit, alle Gläubigen mussten stehen. Sie verhielten sich demütig, ehrfürchtig und waren unheimlich abhängig. Abhängig nicht nur von den damaligen Lebensumständen, sondern auch abhängig von dem gesprochenen Wort …. Von dem, was die Priester ihnen über Gott erzählten. Des Lesens nicht mächtig, hatten sie keine Chance, die Bibel selbst zu studieren. Und Gott wurde zu der Zeit – im Mittelalter – als strenger und strafender Gott dargestellt, der die Menschen erst nach dem Tod mit dem Paradies belohnte, sofern sie es sich auf Erden durch ein gottgefälliges Leben verdient hatten. Sicher ist, dass es in der mittelalterlichen Kirche keine Musik gab, nur der Gesang zum Lobe Gottes wurde geduldet, viel später erst die Orgel ….. waren Musik-
instrumente doch die des Teufels!“
Mit diesen Worten führte Gudrun Wosnitza am 19. Dezember in ihrem Konzert der „Weihnachtlichen Weisen aus Mittelalter und Renaissance – gespielt auf historischen Instrumenten“ hin zu den kirchlichen Advents- und Weihnachtsliedern jener Zeit. Wie es wirklich war, wie das Volk tatsächlich sang und musizierte, das kann die Musikwissenschaft nur vermuten. Doch um eine Atmosphäre herzustellen, die die Zuhörer des Konzertes gedanklich und gefühlsmäßig in diese Zeit versetzt, gab es kaum etwas Besseres als das Spiel auf den historischen, tiefen, sehr tiefen, sanft schnarrenden und zum Teil auch roh klingenden Instrumenten. Denn der Klangreichtum des Mittelalters und der Renaissance ist der Klang des Dudelsacks, der Drehleier, des Krummhorns, der Schalmei, der Pommer und vieler Flöten.
Sie zu bespielen oder das Spiel auf ihnen zu lernen, dazu gehören Ausdauer (zumal diese Instrumente nur einen sehr begrenzten Tonumfang bieten), viel Übung, ausreichend Atemdruck … und einfach die tiefe Freude an der Musik längst vergangener Zeit. Und das hat Gudrun Wosnitza mit diesem wunderschönen, fast meditativen Konzert gezeigt. Sie selbst spielte und moderierte im historischen Gewand … und der Rahmen – der schlichte Innenraum der im Hochmittelalter erbauten Elbrinxer Dorfkirche, nur dezent mit Kerzenlicht beleuchtet – hätte passender nicht sein können.
Der Reigen des Hörgenusses begann mit Weihnachtsweisen aus dem Alpenraum, allesamt gespielt auf dem Dudelsack. Aus dem Repertoire der alten kirchlichen Advents- und Weihnachtslieder (u.a. gespielt auf der Bassflöte, der Pommer oder Schalmei und dem Gemshorn) gehörten die Lieder „O Heiland, reiß die Himmel auf“ (gespielt auf dem Krummhorn), „Joseph, lieber Joseph mein“ (Drehleier) und „Maria durch ein Dornwald ging“ (Ganassi-Blockflöte) zu den bekanntesten.
Und dann zum Schluss des Konzertes der „Ohrenschmaus“ für die rund 50 Gäste: „(…) Wenn Weihnachten das Fest der Liebe ist, habe ich mir gedacht, könnte man ja auch mal Liebeslieder spielen. (…), denn gerade die Liebeslieder der Renaissance sind besonders schön“, versprach Gudrun Wosnitza. Was augenblicklich folgte, ließ einem den Atem stocken. Ein paar Trommelschläge, zwei Töne auf der Altflöte und fast zeitgleich eine enorm klare, helle, fast transparente Stimme zu dem französischen Liebeslied „Belle qui tiens ma vie“ aus dem hinteren Raum der Kirche. Die Sängerin des Abends hielt sich bis dahin „ungesehen“ im Zuhörerraum auf und schritt nun singend mit regelmäßigen Trommelschlägen in den Chorraum. Es war Antje Schmidt aus Elbrinxen, die neben ihrem Beruf als Floristikmeisterin, seit vielen Jahren in einer Band singt und inzwischen ihre Liebe zum Gesang stetig professionalisiert. Diese beeindruckende Stimme begleitete nachfolgend ein traditionelles Lied aus den Appalachen mit dem Titel „I wonder as I wander“, das ebenfalls schon drei Jahrhunderte alte englische Liebeslied „Scarborough Fair“ und das noch ältere Volkslied „Greensleeves“, welches vom Wehklagen eines Liebenden handelt und angeblich von dem englischen König Heinrich VIII. für seine zweite Frau Anna Boleyn komponiert worden ist.
Nur eine Stunde raus aus der vorweihnachtlichen Betriebsamkeit, rein in eine Stunde der Lieder und Instrumente, die aus einer anderen Zeit zu kommen scheinen … ein stimmungsvolles Konzert bei Kerzenschein, mit Erläuterungen zu jedem einzelnen Lied, zum jeweiligen Instrument, zur Zeitgeschichte und ohne störenden Zwischenapplaus. Mit dem feinsinnigen Humor und dem immer wieder bewundernswerten, atemraubenden Spiel von Gudrun Wosnitza und der einzigartigen Stimme von Antje Schmidt.
Für das begeisterte Publikum, welches sich am Ende mit anhaltendem Applaus und einer repräsentativen Spende für den Hospizverein Bad Pyrmont bedankte, eine wohltuende Stunde zum Innehalten. Freuen wir uns auf das nächste Mal!
Martina Gökemeier
Autor: leweke -- 10.04.2014; 10:01:36 Uhr
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