Eine Reise nach Berlin
Anlässlich der 350 Jahre alten Kanzel und dem damaligen Auftraggeber, „D. Johannes Wilhelmi, pastor ecclesiae Hornensis me fieri fecit“ wurde der Kirchengemeinde Elbrinxen im Jahr 1912 eine Taufschale gestiftet. Die Stifter waren Nachkommen der Familie Wilhelmi. Noch heute wird diese Taufschale zu den Anlässen einer Taufe in unserer Gemeinde eingesetzt.
Im Winter 2015 erreichte uns eine Nachricht per E-Mail von einer unbekannten Person „Wilhelmi“. Es entstand ein reger E-Mail-Austausch von und nach Berlin. Ein Nachkomme der Familie Wilhelmi wollte aus alter Tradition die Taufschale ausleihen. Mit Skepsis begegneten wir dieser Anfrage. In unserem Gremium, dem Kirchenvorstand, haben wir beraten. Dabei stellten wir uns die unterschiedlichsten Fragen: Sollen wir dieser Bitte einer uns unbekannten Person nachkommen? Die Familie ist uns völlig fremd und ein persönliches Gespräch, ein Telefonat, gab es auch nicht. Was ist, wenn die Taufschale nicht wieder zurückgegeben wird? Wie können wir Gewissheit über die Personendaten gekommen? Viele Gedanken gingen uns durch den Kopf. Doch die Recherchen, Berichte und Briefe bestätigten die Aussage des jungen Mannes. Die Stiftung ist mit einem Zusatz verbunden: „Auf Wunsch der Nachkommen der Familie Wilhelmi soll die Taufschale ausgeliehen werden und der Täufling wird auf der Rückseite als Nachkomme der Familie eingraviert“. Wir gingen das Wagnis ein. Als nächstes wurde ein Termin gesucht und gefunden. Der Tag war verabredet, die Uhrzeit auf den Freitagnachmittag so gegen 13.30 Uhr festgelegt. Ich wartete auf dem Parkplatz vor unserer Kirche. Die Zeit verging, niemand erschien. Ich telefonierte, konnte aber niemanden erreichen. Im Büro erhielt ich dann die Nachricht, dass Herr Wilhelmi auf dem Weg sei. Also warten. Dann endlich fuhr ein Auto vor, die Tür wurde geöffnet und der junge Mann, geschätztes Alter so 35 Jahre, stellt sich als Wilhelmi vor, beladen mit einem Pappkarton. Er entschuldigte sich und berichtete von seiner Reise aus Berlin. Eine Erfrischung, Gebäck und die Besichtigung der Dorfkirche, ein Gespräch über Gegenwart und Vergangenheit entwickelten sich. Wir übergaben die Taufschale und auf der Rückseite eingraviert zeigte er uns seinen Namen. Anlass dieser Reise sei seine achtjährige Tochter, die sich entschlossen hat, sich taufen zu lassen. Nun sei alles vorbereitet. Am Sonntag sollte der große Tag sein. Wir packten das wertvolle Stück in Schaumstoffpolster ein und mit Paketband geschnürt ging die Reise los Richtung Berlin. Nicht für lange, dann war die Taufschale ja wieder in Elbrinxen.
Einige Tage später, wieder per E-Mail, erhielten wir die Nachricht, dass der Graveur mind. 10 Tage für die Inschrift benötigt. Das Material aus dem Jahr 1912 sei ein weiches Material und muss mit Sorgfalt, von Hand, beschrieben werden, dabei darf nur die obere Legierung bearbeitet werden sonst ist die Beschichtung zerstört. Ein Bangen und Warten folgte. Fragen gingen uns durch den Kopf – wie werden wir die Schale zurückerhalten und wann? Die Tage vergingen, dann kam die Nachricht, die Gravur ist abgeschlossen. Für die Rückgabe wurde wieder ein Freitag vereinbart. Diesmal sollte die Fahrt mit der Bahn bis Bad Pyrmont gehen. Herr Wilhelmi und sein Sohn stiegen mit dem großen Karton aus dem Zug. Der mitgeführte Rucksack enthielt die Verpflegung für die Reise. In Elbrinxen angekommen berichtete er von den Schwierigkeiten, einen guten Handwerksmeister für diese Arbeit zu finden. Es musste ja ein Handwerker sein, der noch Handschrift in Silber schrei-ben kann. Wie lange gibt es diese Kunst noch? Herr Wilhelmi hatte sich auch bemüht einen Hutmacher für die Reparatur der Schachtel zu finden, leider waren diese Bemühungen vergeblich. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Mit dem Sohn wurden noch einmal die Kirche und die Kanzel besichtigt mit den Initialien vom Ur-, Ur-, Ur-...Großvater „D. Johannes Wilhelmi, pastor ecclesiae Hornensis me fieri fecit“. Diese Begegnung mit einem Angehörigen der Familie Wilhelmi, der sich wegen einer Taufschale auf den Weg nach Elbrinxen macht und eine Familien-Tradition bewahrt, hat mich sehr beeindruckt.
Annette Tintel
Autor: leweke -- 26.08.2020; 10:59:44 Uhr
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