Was ist für Dich Frieden?
Im Friedensgottesdienst am 13. Oktober 24 haben Menschen, die den Gottesdienst besucht haben u.a. folgende Antworten gegeben:
Früher habe ich mit meinem Bruder Krieg gespielt. Wir hatten Burgen und Häuser, die wir verteidigt haben. Für uns war das nur ein Spiel. "Krieg" war für uns nur ein schlimmes Wort. Wir wussten, dass das nichts Gutes war, aber wir haben es nicht so wahrgenommen. Wir waren noch Kinder. Heute sind wir älter, wir hören das Wort "Krieg" und wir sehen die Folgen. Menschen fliehen zu uns. Wir sind hier sicher! Wir haben Essen, wir haben ein warmes Bett und können ruhig schlafen, ohne Angst zu haben. Menschen in Kriegsgebieten können das nicht. Sie sitzen in ihren Trümmern und haben tagelang nichts zu essen. Früher haben wir gespielt und hatten Spaß. Jetzt verstehe ich, wie schlimm das alles ist und wie dankbar ich sein kann, dass ich sicher bin.
(Ein Konfirmand)
Erinnerungen – eine Antwort auf die Buchvorstellung „Songs des Friedens“
Hans Hartz hat Mitte der 80ger Jahre von den weißen Tauben gesungen. Ein Friedenslied, das heute wieder aktueller ist denn je. Im Refrain heißt es: Die weißen Tauben sind müde. Sie fliegen lange schon nicht mehr. Sie haben viel zu schwere Flügel, und ihre Schnäbel sind längst leer. Jedoch die Falken fliegen weiter. Sie sind so stark wie nie vorher. Und ihre Flügel werden breiter, und täglich kommen immer mehr. Nur weiße Tauben fliegen nicht mehr.
1980 kannten wir diesen Song noch nicht. Aber er sprach uns aus dem Herzen. Ebenso wie Joan Baez „We Shall Overcome“. Es gab viele Lieder in dieser Zeit. Friedenslieder. Antikriegslieder. Für uns, Udo Böhm und Dietmar Leweke, war es eine bewegende Zeit, weil wir beide Wehrdienst leisten mussten – in unterschiedlichen Armeen. Der eine in der Nationalen Volksarmee und der andere in der Bundeswehr.
1980 – ich hatte das Abi in der Tasche. Vor mir: Wochen von Freizeit. Aber auch ein Datum: Der 1. Juli. Dieser Termin stand auf der Einberufung: Bundeswehr. Vor dem Studium standen 15 Monate Grundwehrdienst. Für mich ging es nach Flensburg. Zwei Monate Grundausbildung – danach musste ich nicht mehr ganz so weit fahren – Neumünster, auch in Schleswig-Holstein - war der neue Standort.
Ich erinnere mich, dass ich vom ersten Tag an die Tage gezählt habe. 457 Tage waren das. Ein Riesenberg, der bewältigt werden wollte.
Viele Erinnerungen kommen in mir hoch. Erzählen möchte ich von den Übungen. Wenn es losging, war es immer das gleiche Schema. Die blaue Seite – wir – wurden aus Osten angegriffen, von der roten Seite. Und dann liefen die üblichen Szenarien ab. Ausrücken – Stellungswechsel, weil „wir“ zurückgedrängt wurden – dann wieder Stellungswechsel, weil „wir“ angriffen. Es war eine Übung. „Nur“ Training. Aber die Wirklichkeit in den 80ger Jahren sah so aus, dass „der Osten“ eine Bedrohung war. Wir haben nicht wirklich mit einem Krieg gerechnet – aber auszuschließen war er leider nicht. Und wir wussten um die Kriege der Vergangenheit: Der Weltkrieg, später Korea und Vietnam, die Kriege im Nahen Osten. Wir wussten um die Brüchigkeit von Verträgen und das gegenseitige Aufrüsten in diesen Jahren sahen wir auch mit einiger Besorgnis.
Die Bundeswehr war eine Verteidigungsarmee. Und ich nun als Wehrpflichtiger dabei. In einer Fernmeldeeinheit. Teilweise hatte ich bei den Übungen eine Waffe mit scharfer Munition zu tragen. Das machte das Ganze für mich noch unwirklicher. Familiäre Verbindungen in den Osten Deutschlands hatte ich nicht. Aber was dort jenseits der Grenze, jenseits der Selbstschussanlagen, der Mauer und der Grenzzäune war, hat uns schon interessiert. Die Systeme konkurrierten. Die Tonlage war oft genug scharf. Für uns junge Menschen war die DDR inzwischen ein fremdes Land geworden, in dem zwar unsere Sprache gesprochen wurde, aber mit dem wir Nachgeborenen kaum etwas zu tun hatten. In Omas Generation war das noch ganz anders…
Da, jenseits der Grenze, die sich durch unser Land zog, machte ein anderer junger Mann Dienst. Wenn es ernst geworden wäre, hätten wir auf unterschiedlichen Seiten gestanden. Ich wusste nichts von ihm und er nichts von mir. Heute ist er mein Küster.
1979 kam die Einberufung zum Militärdienst. Ich hatte die Ausbildung zum Facharbeiter für Holztechnik gerade abgeschlossen. Es ging nach Lenitz bei Berlin zu einem Artillerieregiment. Die aktive Wehrdienstzeit betrug 18 Monate. Die Ausbildungszeit war intensiv. Jeden Tag um 5 Uhr: Außenrevier, Frühsport, Sturmbahn… Jeden Abend: Politikunterricht (Feindbild: Imperialismus, NATO und BRD) und intensive Waffenkunde. Nachts gab es oft Alarm. Manöver wurden oft gemeinsam mit der Roten Armee durchgeführt. Das Szenario: Der Gegner greift von Westen an und wird zurückgeschlagen. Wir mussten die Haubitzen in Stellung bringen. Sie eingraben. Arbeiten bis zur Erschöpfung. An Schlaf war nicht zu denken. Urlaub gab es nur alle 8 Wochen. Noch auf dem Bahnsteig wurde durch den Kontrolldienst kontrolliert. Die Kontrollierenden waren ideenreich. Mit ein bisschen Pech wurde dann der Urlaubsschein zerrissen.
In dieser Zeit bin ich fester im Glauben geworden. Es hat mir sehr geholfen, über diese Zeit zu kommen. Gott sei Dank.
Jenseits der Grenze, die sich durch unser Land zog, machte ein anderer junger Mann Dienst. Wenn es ernst geworden wäre, hätten wir auf unterschiedlichen Seiten gestanden. Ich wusste nichts von ihm und er nicht von mir. Heute ist er mein Pastor.
Inzwischen sind wir alt geworden. Für den Militärdienst zu alt. Manchmal kommen Erinnerungen an die Zeit damals. Aber mit Sorgen schauen wir auf das Morgen. Weil – wie Hans Hartz damals sang - „Die Falken fliegen weiter. Sie sind so stark wie nie vorher. Und ihre Flügel werden breiter, und täglich kommen immer mehr.“
Da bleibt nur die Hoffnung, dass wir all das überwinden werden, wie Joan Baez damals sang: „Wir werden es eines Tages überwinden. Oh, tief in meinem Herzen glaube ich fest daran: Wir werden es eines Tages überwinden… Wir werden Hand in Hand gehen… Wir sind nicht allein… Wir werden eines Tages in Frieden leben… We shall overcome some day!“
Udo Böhm und Dietmar Leweke
Das Buch „Songs des Friedens“ hat bei mir Erinnerungen wachgerufen und neue Fragen aufgeworfen. Während des Lesens hörte ich die „Songs des Friedens“ als Playlist. Bei mir sind Lieder mit Erinnerungen verknüpft, sie sind wie Passwörter für verborgene Bereiche des Gehirns. Und es kam längst Verschüttetes zum Vorschein. Macht bitte mal selbst das Experiment und erzählt uns, was bei euch in Erinnerung gerufen wurde. Gerne per Brief an die Kirchenbüros oder per Mail an buero(at)kloster-falkenhagen.de. Wir werden diese Berichte übers Jahr verteilt im Klosterboten veröffentlichen und gegebenenfalls im Kreuzgang ausstellen.
Ich erinnere mich an meinen Opa nur als ein Foto an der Wand, er in seiner Wehrmachtsuniform. Ich erinnere mich, dass wir als Kinder auf der Straße spielten und die Kampfjets gehörten zum Himmel wie die Wolken. Wir bauten uns Holzgewehre und führten Krieg gegen die Jungs aus den Nachbardörfern. Alles normal, Friedenslieder Fehlanzeige, Heino bekam für sein „schwarrrz/brrraun ist die Haselnuss“ die goldene Schallplatte. Jahre später dann meine Einberufung zum Bund. Bruce Springsteen sang live in LA sein „War“ und beschwor das junge Publikum, sich genau zu informieren, bevor sie blind irgendwelchen Führern folgen. Warum habe ich nicht auf ihn gehört? Ich erinnere mich an meine Fassungslosigkeit, als in Europas beliebtem Urlaubsziel, Jugoslawien, der Krieg ausbrach und die Welt nur zusah. Und dann Nine/Eleven, meine Kinder spielten die TV- Bilder mit Legosteinen nach. Die stummen Gesichter ihrer Eltern ließen sie ahnen, dass es der Beginn von etwas Schlimmen war. Amerika und seine Verbündeten nahmen den Kampf gegen den IS auf und auch deutsche Soldaten sterben. Die Hamelner Band „Talkin Wire“ produziert den Song „Fields of fire“. Beim Hören der Demoversion habe ich meinen Sohn vor Augen. Er verabschiedet sich von mir um Deutschland am Hindukusch zu verteidigen. Für mich nur ein Hirngespinst, für viele Mütter und Väter Realität. Und nun der Krieg in der Ukraine, wieder werden Fotos von jungen Männern in Uniform an Wänden hängen. Muss sich Geschichte ständig wiederholen? Im Song „Russians“ singt Sting „I hope the Russians love their children too“. Vielleicht tun sie das, mindestens einer tut es nicht!
Schickt uns eure Erinnerungen! Es ist ein Versuch gegen das Vergessen, verbunden mit der Hoffnung auf ein Überwinden der Gewalt. „We shall overcome“
Frank Jakob
Autor: leweke -- 22.10.2024; 15:51:50 Uhr
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